Xu Lin kontrolliert prüfend den Sitz ihres auf Taobao neu erstandenen roten Kleides. Sie steht im Spiegel-Gymnastikraum des Unternehmens, ein echter Vorteil der stattlichen Großunternehmen, die sogar eigene Sportmöglichkeiten anbieten.
Xu Lin kann gar nicht mehr genau sagen, wann genau sie ihre Freude am orientalischen Bauchtanz entdeckt hat. Es war auf jeden Fall nach ihrer Scheidung von einem "military man".
Foto: Tanz in roten Kleid |
"Ich musste nach meiner Scheidung irgendetwas Neues anfangen, was mich ablenkt", erzählt sie und gibt auch unumwunden zu "und was mich fit hält, damit ich weiter attraktiv für Männer bleibe". In einem leiseren Ton fügt sie hinzu: "Als geschiedene Frau in China ist es schwer. Meine Eltern waren sehr enttäuscht von mir."
Xu Lin kommt vom Dorf und ihre Eltern waren sehr stolz auf ihre Tochter, dass sie einen Mann in der Stadt gefunden hatte. "Ich war so naiv", sagt Xu Lin und seufzt "und habe mich sogar von meiner Mutter überreden lassen, dass ein Kind die Eheprobleme lösen könnte." Aber sie konnte es nicht aushalten mit ihrem Mann und dessen Eltern und hat schließlich die Scheidung eingereicht.
"Ich wusste", sagt sie, "dass dies ein Makel sein wird, denn kaum jemand will eine geschiedene Frau nochmal heiraten. Aber ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich wollte meine Ausbildung weiter machen, um auf eigenen Beinen stehen zu können, aber das hat mir mein Mann nicht erlaubt..." sie stockt in der Erzählung. Für das Sorgerecht um ihren Sohn hat sie fast 2 Jahre gekämpft, aber eigentlich war ihr klar, dass sie nicht gewinnen kann.
Zu der Zeit irgendwann hat sie mit dem Tanzen begonnen. "Ich wollte etwas Besonderes machen, etwas, was mich ablenkt von den Sorgen und was nicht jede macht. Da habe ich im Fitness Studio eine andere Frau kennengelernt, die Bauchtanz trainierte."
Der Bauchtanz hat ihr neue Welten eröffnet, auch wenn ihre Mutter am Anfang sehr ärgerlich war: zu aufreizende Kleidung, zu provokante Bewegungen. Aber Xu Lin hat sie überzeugen können, dass es ein Sport ist. Sie hat in Indien in ihrem Urlaub Tanzkurse belegt und wurde in ihrem Unternehmen später nominiert, selbst Tanzkurse zu geben. Letzteres hat auch die Mutter überzeugt.
Inzwischen ist Xu Lin Mitte Dreißig - ein Alter, über das sie nicht mehr gern spricht, denn es bedeutet als Frau in China "alt sein". Sie tanzt nicht mehr sehr oft, denn die Energie nach der Arbeit ist eindeutig gesunken, außerdem hat sie Knieprobleme und überhaupt immer mehr Wehwehchen in letzter Zeit. Aber sie will sich nicht gehen lassen, deshalb nimmt sie heute mal wieder Videoaufnahmen vom Tanzen machen, um dann 15s davon auf Tiktok hochzuladen. Nicht um einen Mann zu finden, sondern weil es ihr Spass macht.
Kleingedrucktes zu meinen kleinen Geschichten: Personen, Namen, Handlungen und Zitate sind fast frei erfunden und nur ein neues Format meiner Bildkommentierungen, Beobachtungen, Gespräche und Recherchen.
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