28.07.2020

eine kleine Geschichte: fliegender Händler

Eine kleine Geschichte von Herrn Hu, dem Vielberufler

Herr Hu hat viele Berufe. Morgens arbeitet er in der Auslieferung eines Logistikunternehmens und beliefert Wochenmärkte mit Obst und Gemüse. Nachts hilft er auf Strassenbaustellen, wenn schwere Arbeiten zu verrichten sind. Am liebsten ist Herr Hu aber Händler für Keramik. "Da bin ich mein eigener Chef", sagt er "keiner sagt mir, was ich machen soll und die Arbeit ist auch nicht so anstrengend." Er grinst und klopft sich auf den Bauch "allerdings bin ich dadurch auch viel fetter geworden", sagt er in der typischen chinesischen Direktheit.
Foto: warten auf Kundschaft
Sein mobiler Verkaufsladen ist ein Elektrofahrrad mit Ladefläche, das er einfach auf dem Gehweg stellt und auf Kundschaft wartet. Ob er heute schon etwas verkauft hat, will ich wissen. "Nein", sagt Herr Hu entspannt, "aber ich bin auch gerade erst gekommen".
Die Geschäfte laufen am besten in den frühen Abendstunden, wenn Leute von der Arbeit oder zum Essen gehen. Seit er das moderne, japanisch wirkende Keramikgeschirr anbietet, hat er auch schon an einige Laowais, Ausländer, verkauft, die hier vorbei kommen. "Die bestellen sogar vor", grinst er zufrieden. Heute zum Beispiel hat er 5 Schalen für eine Kundin auf der Ladefläche, die schon eine Schale zuvor gekauft hat und sehr zufrieden war. Damit ist der Verdienst des heutigen Tages und das Abendessen auf jeden Fall gesichert. Die Preise pro Teil liegen bei ca 2-3 Euro.

"Seit dem letzten Jahr ist es etwas schwerer geworden, einen guten Platz zu finden", erzählt er, denn die Polizeipräsenz an geschäftigen Verkehrskreuzungen hat erheblich zugenommen. "Eigentlich kontrollieren sie, ob die Verkehrsregeln auf der Strasse eingehalten werden, aber wenn sie nichts zu tun haben, fragen sie auch mal bei uns nach, ob wir eine Lizenz haben und hier stehen dürfen." Herr Hu grinst, das hat er natürlich nicht, aber er hat ein gutes Verhältnis mit der lokalen Polizei und passt auf, dass er mit seinem Laden nicht im Weg steht.
Foto: mobiler Verkaufsstand
"Das Problem ist meist", erzählt er weiter, "dass sobald ich mein Fahrrad abgestellt habe, andere Händler dazukommen wollen." Da muss er manchmal etwas ungemütlich werden und die anderen verjagen. Er grinst "mit mir will sich lieber keiner anlegen" und richtet sich auf seinem Höckerchen auf, um seine imposante Figur zu betonen. Auch betonen tut er dann "ich gönne jedem sein Geschäft, aber wir dürfen nicht den ganzen Gehweg blockieren."
Ich überlege, ob ihm das wohl einer seiner lokalen Polizisten-Freunde erzählt hat, denn diese Einstellung und Um-/Rücksicht ist sehr untypisch für den normalen Chinesen.

Herr Hu wendet sich wieder seinem Smartphone zu. Als vierten Beruf betreibt er nämlich noch einen online-Handel auf Taobao, der chinesischen eCommerce Plattform von Alibaba. Da verkauft er allerdings kein Keramik, sondern Socken aus Datang, seiner Heimatstadt und Socken-für-die Welt-Produktionsstätte. "Die kann ich wirklich nur empfehlen", sagt Herr Hu und zupft sich demonstrativ an der eigenen grau-blauen Socke. "Die rutschen nicht und sind sehr bequem! ... und billig" fügt er verkaufstüchtig hinzu. Und klar, hat er auch ein paar Socken auf seinem Fahrrad mit dabei. Man weiss ja nie.

Kleingedrucktes zu meinen kleinen Geschichten: Personen, Namen, Handlungen und Zitate sind frei erfunden und nur ein neues Format meiner Bildkommentierungen, Beobachtungen, Gespräche und Recherchen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen