01.09.2020

eine kleine Geschichte: Autoverkäufer

Eine kleine Geschichte vom Herrn Ma, ein Autoverkäufer mit Qualitäten

Ma Shichao ist mehr als ein Autoverkäufer. Er ist auch Blogger oder KOL (Key opinion leader), schreibt Testberichte, beantwortet Fragen und kommentiert auf Autoportalen. Das ist seine Haupteinnahmequelle geworden. "Jeder Autohersteller macht es", erklärt Ma Shichao. Mit "es" meint er, dass Leute wie er dafür bezahlt werden, möglichst viele Berichte und Kommentare auf Webseiten zu veröffentlichen, die clicks & likes generieren und helfen die Modelle auf den Ranglisten nach oben zu bringen, damit sie von Kunden gesehen werden. Also ein bisschen wie bei Google Search: je mehr bezahlt wird, desto höher landet man im Suchergebnis. "Es" heisst "eWOM" und stammt aus den Zeiten als man merkte, dass Mund-zu-Mund Propaganda (= WOM = Word of Mouth) nicht nur von Freunden und Bekannten persönlich, sondern auch von Meinungsbildnern im Internet (also, e = elektronisch) die Kaufentscheidung stark beeinflussen kann.
Foto: Autoverkäufer und Tester
Ma Shichao hat früh angefangen, sich Zusatzeinkommen im Internet im Automobilsektor, seiner Leidenschaft, zu verdienen. "Als ich studiert habe", erzählt Ma Shichao, "war ich ein Clicker." Er hat also einfach nur auf Inhalte und Anzeigen geklickt, um die Clickraten zu erhöhen, wofür Kunden Geld zahlen, denn oft wird der "cost per click" berechnet. "Das war aber sehr stupide", gibt er zu und lächelt verlegen.
"Als ich dann als Autoverkäufer angefangen habe, habe ich für Kunden kurze Testberichte geschrieben, die sie (die Kunden) dann im Kundenforum der Autoportale, dem BBS (Bulletin Board System) veröffentlichen konnten." Auch das verbessert das Ranking. Der Kunde hat dafür vom Händler ein kleines Dankeschön erhalten, was er sich mit Ma Shichao geteilt hat. Das macht Ma Shichao inzwischen nur noch in Ausnahmefällen für sehr gute Kunden, denn er erstellt OGC (Original Generated Content) als offizieller Auto-Blogger und das nimmt Zeit in Anspruch, denn er will gut in diesem Job sein.

General Manager, Herr Ye, der Leiter des Händlerbetriebs, ist sehr stolz auf Ma Shichao und froh darüber, dass er trotzdem noch weiter Autos verkauft. Er hatte von Anfang an kein Problem damit, dass Ma Shichao seine Arbeitszeit auch für die Bloggertätigkeit nutzte. "Warum sollte ich?" fragt er verwundert. "Es gehört dazu, dass sich Verkäufer ständig auf dem Laufenden halten und die Wettbewerber studieren." Und schließlich profitiere er von dem Wissen und der Reputation von Ma Shichao, der nach wie vor sein bester Verkäufer ist obwohl er kaum mehr im Autohaus ist.

Ma Shichao kennt die Sorgen des Autohandels. Die Autoindustrie ist 2019 um über neun Prozent geschrumpft, dann kam die Coronakrise, die auch in China den Mittelstand hart getroffen hat. Trotz Rettungsplänen, neuen Richtlinien für  Steuersenkungen, Vorzugszinsen, Beschäftigungshilfen und Konsumförderung, die die Finanzierungs- und Betriebskosten der kleineren und mittleren Unternehmen reduzieren sollte, ist es sehr schwer geworden. "Von 15 Verkäufern zu den besten Zeiten, sind nur noch 5 da", erzählt Ma Shichao. "Die Autoindustrie steht vor einem grossen Umbruch" sagt er und es klingt wie überall auf der Welt. "Besonders die Umstellung auf das E-Auto verändert viel. Aber wir haben in China immer noch sehr viel Bedarf. Auf dem Land ist es das erste Auto, in der Stadt ein besseres" sagt Ma Shichao und hört sich damit wie ein Autoindustriepolitiker oder der CEO eines grossen Unternehmens an, allerdings wie ein bescheidener und zurückhaltender. "2019 gab es in China im Durchschnitt erst 172 Autos pro 1000 Einwohnern. Der Weltdurchschnitt hingegen liegt bei 380. In Deutschland sind es 611. In den USA sogar über 800. Da ist in China noch viel Luft nach oben, die Coronakrise ist in dieser Entwicklung nur ein kleiner Einschnitt." So wird es in China allgemein gesehen.

Ich nutze die Chance: Hält China das mit seinen 1,4 Milliarden Menschen aus, wenn 600 bis 800 Autos auf 1000 Einwohner kommen? Ma Shichao antwortet smart: "Die Zahl ist zu hoch. Die chinesische Autodichte wird sich irgendwo zwischen 400 und 500 Fahrzeugen einpendeln. Aber das dauert noch. Die Zentralregierung rechnet bis 2025 mit einer Dichte von 260 Fahrzeugen." Und fügt hinzu: "Das neue Auto ist elektrisch, intelligent, vernetzt und es wird geteilt. Autonomes, intelligentes Fahren wird sehr bald zum Alltag in China. Überall wird schon getestet und alles wird miteinander vernetzt sein. Da haben wir hier in China einen echten Vorteil, denn Daten sind kein Problem und das 5G-Netz ist bald verfügbar. Damit können auch Fabriken gesteuert und die Produktion mit den Zulieferketten verbunden werden. Die intelligente Produktion wird auch die Autoproduktion revolutionieren. Und China ist vorn dabei." sagt Ma Shichao und man merkt, dass er weit mehr als ein Autoverkäufer ist.

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