13.10.2018

first impressions _ die Fahrt zu Arbeit

Die erste Arbeitswoche ist um und heute gibt es mal einen Blogeintrag mehr im Langtextformat als Bilderformat.
Foto: Zur Arbeit 60-75min (bisher)
In China muss man einen Führerschein machen - eine theoretische Prüfung, die es in sich haben soll, zum einen weil Regeln anders sind aber zum anderen weil die englische Übersetzung so bescheiden ist, dass die Multiple Choice Fragen eher zum Rätselraten sind. So lange man den lokalen Führerschein nicht hat, darf man nicht Auto fahren. Punkt. Streng. Klar. Denn man würde sogar direkt ins Gefängnis wandern, wenn man trotzdem fährt und erwischt wird.

Deshalb kommt jetzt jeden Morgen Mister Jin zum Abholen. Das ist nicht schlecht, denn so komme ich wenigstens an. Mr Jin ist ein routinierter Fahrer, sehr pünktlich, schlawinert sich gut in Warteschlangen und finden immer einen Weg mit Parkwächtern um dort kurz zu warten, wo parken eigentlich nicht erlaubt ist. Er kann prima "Ok, Ok" , "good morning" und "bye-bye" sagen, hat natürlich WeChat (das chinesische WhatsApp mit viel mehr Funktionen) und damit haben wir alles, was wir zur Verständigung brauchen.

Je nachdem was wir am Abend zuvor vereinbart haben, steht er morgens um 7:45, 8 oder 8:15 Uhr vor unserem Apartmentkomplex. Ein grauer US Passat, Langversion. Skoda kann sich keine eigene Fahrdienstflotte leisten und wir gehören ja schliesslich zur SAIC Volkswagen. Mr Jin hat ein sehr freundliches Gesicht, das bisher immer lacht und sich freut, weil ich pünktlich bin und ihn in keine "Warte-Bedrouille" bringe. Ein guter Start. Und die ersten 12-17min geht es durch das französische Viertel mit kleinen Strassen, Bäumen und viel zu gucken.

Leider raucht Mr Jin, was ich zwar noch nie gesehen habe und er tut es natürlich auch nicht im Auto, aber man riecht es. Morgens wenig, abends stark. Soll ich gleich mal meckern? Wahrscheinlich bekommt Mr Jin dann nur Ärger und die Wahrscheinlichkeit, dass es alle Fahrer so machen, ist gross. Also: erstmal nicht meckern, Fenster ein wenig runter, Luft reinlassen, nicht so viel auf's Phone während der Fahrt gucken (da wird's einem sonst schlecht) und abwarten. Geduld, die ich ja eigentlich nicht so habe, ist eine Tugend und - das ist mir nach der ersten Woche klar - eine überlebensnotwendige Eigenschaft für China.

Nach 12-17min geht es auf eine der Ringstrassen, eine Hoch-Schnellstrasse - und dann wird es eher langweilig zum Gucken: graue Hochhäuser, schon recht dicht bis zäh fliessender Verkehr, rechts und links Strassenwände. 3-4 Mal geht's rechts ab von der Schnellstrasse - und da wird es bestimmt kompliziert, wenn ich das erste Mal allein fahren muss. Mit Mr Jin ist alles kein Problem.

Nach 50-70min erreichen wir zum ersten Mal eine Toll-Station, wo ein Ticket gezogen werden muss. Dann ist die Abfahrt nach Anting aber schon nicht mehr weit und die Autobahngebühr für das Stück kann nicht viel sein - ich habe aber noch nie erkennen können, was Mr Jin eigentlich zahlt.

10min später, also nach insgesamt 60 bis 80min steht der graue Passat, Langversion, von Mr Jin dann mit mir vor unserem Bürogebäude und ich kann direkt davor aussteigen. Praktisch. Auf dem Telefon habe ich die Uhrzeit geschrieben, wann er mich am Abend wieder abholen soll. Dann aber am Hintereingang, wo er besser warten kann.

Es sind eigentlich nur ca. 30km von Shanghai Innenstadt nach Anting im Westen von Shanghai, aber zu den Stosszeiten dauert es. Anting ist die "Autostadt" von Shanghai, denn dort wird gebaut. Es ist die Zentrale der SAIC Motor Corporation Ltd. Früher stand SAIC schon für Shanghai Automotive Industry Corporation. Jetzt wirkt der Name etwas doppelt-gemoppelt, aber dafür gibt es bestimmt einen triftigen Grund. Die SAIC baut nicht nur Volkswagen (seit 1985) und Skoda (seit 2006) hier, sondern hat auch Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) mit GM, Baojun, Buick, Chevrolet, Iveco, Wuling, Volvo und eigene Exklusivmarken mit Maxus, MG, Roewe und Yuejin.
Foto: ca. 30km

Um 9 Uhr kommen viele Kollegen ins Büro, deshalb staut es sich gleich an den Fahrstühlen. Besser also etwas später hoch und vorher einen Kaffee im BuffersCafe im Erdgeschoss trinken. Er schmeckt sogar richtig gut und kann mit dem Werksausweis bezahlt werden, wo jeden Monat ein Guthaben von 400 RMB (ca. 50 Euro) automatisch aufgeladen wird. Der Essenszuschuss sozusagen. Wird er nicht genutzt, so verfällt das Guthaben, zumindest ist das bei den Expats so, den Ausländern im Unternehmen.
Im Cafe trifft man meist schon ein paar dieser Expat-Kollegen. Wahrscheinlich weil alle ihr Guthaben aufbrauchen wollen. Denn das Kantinenessen soll nicht besonders gut sein. So wird gesagt, was  ich selbst noch nicht beurteilen kann, denn ich war die ganze Woche nicht essen. Es gab über Mittag immer Termine, die dann zwar meist doch nicht stattgefunden haben, aber das kann man in der ersten Woche ja noch nicht wissen.

Die Expat-Kollegen sind übrigens fast alle aus Tschechien - ich kenne sogar noch viele! Erstaunlich, denn es sind ja auch schon wieder 10 Jahre her, dass ich in Mlada Boleslav gearbeitet habe.
Die Volkswagen Kollegen sitzen in einem anderen Gebäude, was ich ehrlich gesagt nicht schlecht finde, denn der erste Eindruck ist jetzt schon, dass Volkswagen die übermächtige Mutter ist, von der die kleine Tochter Skoda sehr abhängig ist. Ein bisschen Distanz ist da nicht schlecht. Und per Auto sind es keine 10min. Das weiss ich nicht etwa, weil ich die Kollegen schon besucht habe, sondern viel mehr weil ich gleich am 2. Tag ein Bankkonto eröffnet habe und die Bank sich dort befindet, wo Volkswagen seinen Vertrieb und Marketing hat.

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