10.06.2020

eine kleine Geschichte: Abschlepper

Eine kleine Geschichte von Herrn Wang, einem Abschlepper.

Herr Wang ist Abschlepper, genauer Fahrer eines gelben Abschleppwagens, einem Tieflader und arbeitet für den Road Clear Rescue and Tow Service. Einen Großteil seines Dienstes wartet Herr Wang. Manchmal tut er es direkt an einer Autobahnauffahrt, manchmal an der Servicestation in Hongqiao. Natürlich freut sich Herr Wang eigentlich, wenn er nicht viel zu tun hat, denn das bedeutet, es gibt wenig Unfälle oder Liegenbleiber in seinem Bezirk. Andererseits, gibt er zu, sind die Tage besser, an denen er viel zu tun hat, beeilt sich aber hinzuzufügen, dass es in seinem Bezirk fast nur Blechschäden gibt. Die Autobahnen rund um den Hongqiao Bezirk sind nämlich meistens sehr verstopft und es geht oft nur im Schneckentempo voran. "Da ist es dann am schwierigsten schnell zum Ort des Geschehens zu kommen", sagt Herr Wang. Einen Seiten- oder Standstreifen gibt es in seinem Bezirk nicht. "So etwas", erklärt er, "gibt es nur auf den grossen Autobahnen ausserhalb der Stadt. Hier", so meint er, "braucht man jede Spur für den Verkehr."
Foto: Abschleppdienst
Heute ist er nochmal angefordert worden, obwohl er eigentlich gerade Schluss machen wollte, also kurz nach 19 Uhr, nach einem 12 Stunden Tag in seinem Abschleppwagen. Es ist ein ungewöhnlicher Einsatz, denn es soll ein laowai, ein Ausländer sein, der mit einem platten Reifen auf der Autobahn steht. Das weiss er, weil er deshalb einen zweiten Anruf erhalten hat, nämlich von dem Unternehmen, in dem der laowai arbeitet. Die haben mit ihm schon den Preis für das Abschleppen und Reifenwechseln vereinbart. Das findet Herr Wang gut, denn sonst ist es oft ein langes Verhandeln, weil die meisten Fahrer nicht den vollen Preis bezahlen wollen. Sie finden ihn zu hoch.

Für das Abschleppen und Reifenwechseln wird Herr Wang 600 RMB (ca. 75 Euro) bekommen. Das Reifenwechseln ist sein persönlicher Zusatzverdienst, was Herrn Wang besonders freut. Denn heute war kein guter Tag: es regnete. "Da fahren die Leute viel langsamer und vorsichtiger", sagt Herr Wang. Der Großteil seines Gehaltes ist variable, also hängt davon ab wie oft er gerufen wird. Daher sind solche Zusatzverdienste für Reifenwechseln oder zu einer Werkstatt fahren wichtig. Und genau deshalb hat er sich sofort bereit erklärt, diesen Notruf zu übernehmen, trotz laowai und Dienstschluss.
Foto: Tieflader
Der Einsatz dauert dann aber doch länger als erwartet. Erst fährt Herr Wang auf die falsche Seite der Autobahn und muss wieder umdrehen (Der laowai, der eine Frau ist, nämlich ich, muss deshalb fast 1,5 Stunde im Auto warten, zum Glück an einer guten Stelle, kurz vor einem Autobahnkreuz).

Als Herr Wang dann endlich da ist, hat es zum Glück aufgehört, in Strömen zu gießen, so dass das Aufladen schnell funktioniert. Die laowai scheint zu wissen, was gemacht werden muss, denn sie steigt aus dem Auto und lässt Herrn Wang in Ruhe aufladen. Die gemeinsame Fahrt im Führerhaus des Abschleppwagens ist kurz. Man muss ja nur irgendwie von der Autobahn runter. Denn Reifenwechsel auf der Autobahn ist auch für Herrn Wang ein Tabu.

Leider ist das Reifenwechseln dann auch etwas schwieriger als erwartet. Eigentlich geht es bei Herrn Wang ruckzuck, aber "jedes Auto ist anders". Heute müssen erst komische Plastikkappen von den Schrauben runtergefrickelt werden. Die sind schwarz, man kann sie kaum sehen und braucht etwas zum Hinterhaken. Das dauert am längsten. Auch die Schrauben selbst sitzen sehr fest, bei diesem ... ja, was ist das eigentlich für eine Marke, die die laowai da fährt? Ist Herrn Wang auch egal, es ist dunkel und hat wieder angefangen zu regnen.

Zum Glück hat der Wagen ein leichtes Reserverad im Kofferraum. Die laowai hilft beim Rausholen und macht auch Licht. Das ist sehr nett. "Das würde ein chinesischer Kunde nicht machen", sagt Herr Wang. "Die sind immer sehr fordernd".
Endlich ist es geschafft und die laowai weiss auch, dass sie 600 RMB bar bezahlen muss. "Das ist inzwischen das größte Problem", sagt Herr Wang, "die Leute haben kein Bargeld mehr dabei und wir sind noch nicht mit offiziellem QR-code zum Bezahlen ausgestattet." Das soll aber bald kommen.
Foto: platter Reifen
Herr Wang ist mit seinem letzten Einsatz am heutigen Tag dann doch sehr zufrieden. Es gab sogar noch zusätzlich Trinkgeld. Das passiert auch nur bei laowais. Er strahlt über das ganze Gesicht und winkt "bye bye" als die laowai mit ihrem Skoda Karoq auf 3 dicken und einem mickrigen Reserverad langsam davon fährt.

Kleingedrucktes zu meinen kleinen Geschichten: Personen, Namen, Handlungen und Zitate sind frei erfunden und nur ein neues Format meiner Bildkommentierungen.

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