29.09.2020

eine kleine Geschichte: Polymerwissenschaftler

Eine kleine Geschichte von Zhang Pan, dem Kunststoffforscher aus einem FAZ Bericht

Zhang Pan blickt auf seinen Labortisch voller Kunststoffteile. Zhang Pan ist 24,  Polymerwissenschaftler und wollte sich auf Kunststoffe für den Automobilbau spezialisieren. Kunststoff, das sind Tausende winziger aneinander liegender Moleküle, die Autos stabil und dennoch so leicht machen, dass ein sauberer, aber schwacher Elektromotor diese eintausend Kilometer fortzubewegen vermag, ohne nachzuladen.
Moleküle lassen sich allerdings auch wieder voneinander trennen. Es braucht nur einen Laser, der die Verbindung zerschneidet. So kommt es Zhang dieser Tage vor, denn gerade zerfällt die Welt auch für ihn: in der einen haben Chinesen keinen Zutritt, in der anderen hat China das Sagen.

In Zhangs Lebensplan war das so nicht vorgesehen. Nach der Sichuan-Universität, in der er gerade sein Studium beendet hat, wollte er sich an einer der amerikanischen Hochschulen promovieren, die ihm ein Stipendium angeboten haben. In den Vereinigten Staaten lehren die besten Kunststoffwissenschaftler der Welt. Doch im Frühjahr hat Zhang den Namen seiner Hochschule aus Sichuan in der sogenannten „Entity List“ wiedergefunden, die das Washingtoner Handelsministerium erstellt hat. Die schwarze Liste untersagt die Zusammenarbeit mit 158 chinesischen Universitäten, Unternehmen und Privatpersonen. Warum die Sichuan-Universität dazu zählt, ist unklar. Vielleicht hat es mit Atomwaffen zu tun, die Chinas Militär angeblich in Uni-Nähe entwickelt.

Auch der chinesische Technologiekonzern Huawei steht auf Amerikas schwarzer Liste. Auf dem Firmencampus in Shenzhen arbeitet Zhang Pan jetzt. Den Plan mit dem Doktorandenstipendium in Amerika hat er auf Eis gelegt, er hat die überaus berechtigte Sorge, kein Visum zu erhalten.

Stattdessen entwirft er nun für Huawei „wearable devices“. Fitnessarmbänder etwa, von denen nicht klar ist, wo sie später einmal verkauft werden dürfen. Überall auf der Welt? Oder nur im chinesischen Einflussbereich?

Während seines Studiums in China hat sich Zhang Pan für Huawei eigentlich nie groß interessiert. Doch seitdem Amerika begonnen hat, das Unternehmen mit Sanktionen kaputtzuschießen, spürt er eine patriotische Pflicht. Der Konzern investiere viel in die Entwicklung, ohne das Technologieunternehmen werde Chinas Forschungslandschaft zerstört. Ein Freund hat ihn zu der Stelle gedrängt, es ist nicht das, was sich Zhang vorgestellt hat. Doch das Gehalt ist gut. Er würde immer noch lieber forschen, vielleicht bei der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland. „Oder an einer guten Universität in China.“

Definiert man den China freundlich gesinnten Teil auf der Welt anhand der Länder, die laut Pekinger Angaben bei Chinas Außenpolitikinitiative „Gürtel und Straße“ mitmachen wollen, zählen Stand heute 138 Staaten dazu. Färbt man sie auf der Weltkarte ein, ballen sie sich vor allem im Osten und Süden der Erde.

Ist das schon die geteilte Welt? Schon lange bevor Washington den chinesischen Apps Tiktok und WeChat den Bann angedroht hat, hatten viele Chinesen zwei Telefone: Auf dem iPhone waren westliche Programme wie Facebook und Whatsapp installiert, die in China gesperrt sind. Auf dem Zweitgerät von Huawei zeigt der Startbildschirm Baidu Research anstelle von Google Scholar, Weibo statt Twitter, Didi statt Uber. Die Restaurantbewertungsapp Yelp mit 180 Millionen Nutzern spielt in China keine Rolle, wo 450 Millionen Menschen die Gourmetkritiken auf Dianping lesen, auf dem man auch Essen bestellen kann.

Ein Gegenstück zur Bezahlapp Alipay gibt es auf den westlichen Smartphones nicht, weshalb das Unternehmen mit über 200 Milliarden Dollar bewertet werden könnte, wenn es bald an die Börse geht – in Shanghai und Hongkong, nicht in New York.

Eine glatte Scheidung der Supermächte ist eigentlich undenkbar. Es ist ja nicht einmal klar, ob das Schlagwort vom neuen „kalten Krieg“ zutrifft auf den Konflikt der Gegenwart. Schließlich war die Sowjetunion vor vierzig Jahren nicht Amerikas größter Handelspartner und nicht sein zweitgrößter Gläubiger. Die schnurlosen Telefone, in die der Außerirdische Alf in den 80er Jahren im Fernsehen seine Witze machte, wurden nicht im Kaukasus zusammengeschraubt, so wie Apples iPhones in den Fabriken in Chinas südlicher Provinz Guangdong. Die hat eine größere Wirtschaftskraft als Spanien und ein paar der aufregendsten Technologiefirmen der Welt hervorgebracht.

Vor der Ikone amerikanischer Popkultur, dem Disneyland in Shanghai, stehen Chinesen in langen Schlangen, um hinter dem Zaun die weißhäutige Cinderella zu besuchen. Ein paar hundert Meter weiter steht das Verwaltungsgebäude der Shendi-Gruppe, die 57 Prozent der Anteile am Park hält und dem chinesischen Staat gehört. Drinnen gibt an der Wand die Firmenzelle der Kommunistischen Partei Auskunft über das gemeinsame Mitarbeiterstudium der „Ideen Xi Jinpings des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“. Die müssen laut einem neuen Gesetzentwurf nun auch alle ausländischen Professoren und Lehrer im Land erlernen. Wer als Lehrkraft die „nationale Souveränität“ und „Ehre“ Chinas in Frage stellt und die Unterdrückung der muslimischen Minderheit in Xinjiang thematisiert, bekommt Probleme. Ausgenommen vom Gesetz sind angeblich die Auslandsschulen Russlands, Pakistans und Deutschlands.

Die Haupstadt der Provinz Xinjiang heißt im Chinesischen Wulumuqi, in Shanghai ist eine Straße im Konsulatsviertel nach ihr benannt. Der neue, kalte Wind im Verhältnis West gegen Ost erweist sich als heiß und schwül an diesem Vormittag. In der Vertretung Amerikas lassen die Fenster zum Glück kaum Sonnenlicht herein. Neben der Eingangstür hängt auf dunklem Holz hinter Glas das Sternenbanner. Die Fahne habe das letzte Mal vor der Schließung des Konsulats im Mai 1950 geweht, heißt es in der Inschrift darunter. Damals, als Maos Volksbefreiungsarmee die Amerikaner für fast dreißig Jahre aus dem Land hinauswarf.

Im Saal sitzt der Konsul und erklärt die neue Kampflinie. Als er hier am 4. Juli den amerikanischen Unabhängigkeitstag feierte, hatte er keinen Regierungsvertreter Chinas eingeladen. Es wäre wohl auch keiner gekommen. Vor ein paar Wochen konnten die Chinesen in der Zeitung lesen, dass im Weißen Haus über ein Einreisebann nach Amerika für die 92 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei und deren Familienangehörigen nachgedacht werde, was insgesamt rund 270 Millionen Chinesen betreffen würde. Über den Inhalt des Gesprächs im Schanghaier Konsulat darf nicht berichtet werden, doch wer nach zwei Stunden den Eingang wieder passiert, hat das Gefühl, dass in China womöglich bald das nächste Sternenbanner eingeholt werden muss.

Konsulate schließen
Das amerikanischen Konsulat in Chengdu ist schon geschlossen – als Vergeltung dafür, dass in Amerika die Chinesen ihre Vertretung in Houston räumen mussten. In Hongkong hat Washington chinesische Kader mit Sanktionen belegt, nach denen diese bald wohl nirgendwo auf der Welt mehr mit Kreditkarte zahlen können. China wiederum hat in Hongkong einen amerikafreundlichen Zeitungsverleger wegen der „Kollusion mit ausländischen Kräften“ verhaften lassen.


Öffnen Chinesen in der Technikmetropole Shenzhen dieser Tage auf ihrem Smartphone die App „Portemonnaie“, guckt sie plötzlich Mao an. Haben die Nutzer die App von der Construction Bank heruntergeladen, ist das Konterfei des Revolutionärs und Republikgründers auf dem digitalen Yuan-Schein blau, bei der App der Agricultural Bank ist Mao grün. Die Zahl vor dem Kopf gibt das gespeicherte Vermögen an, darunter stehen Funktionen: Barcode scannen, um zu bezahlen, Geld überweisen, ein QR-Code, um Geld zu empfangen: Seit dieser Woche testen Chinas vier große Staatsbanken die Digitalversion des Yuan.

In Zukunft sollen die Chinesen ihr gesamtes Vermögen inklusive Bargeld in den digitalen Yuan umwandeln können, für dessen Benutzung es dann noch nicht einmal ein Bankkonto braucht. Wollen zwei Nutzer Geld tauschen, müssen sie dafür mit Hilfe der NFC-Funktion nur ihre Telefone aneinanderhalten. Am Freitag weitete die Zentralbank das Testfeld aus auf eine riesige Region um Peking, das Jangtse-Delta um Schanghai sowie weite Teile im Süden und Westen des Landes.
Digitale Mao-Scheine

Hat China erst einmal sein Bargeld vollständig abgeschafft, sollen seine Handelspartner in der Welt mit dem digitalen Mao-Schein zahlen. In den Regionen, mit denen China schon heute eng verflochten ist wie Afrika, dem Nahen Osten und Südostasien, könnten Pekings Banken Geldautomaten aufstellen und elektronische Kassensysteme in Supermärkten und Kaufhäusern in Kairo, Lagos, Dubai und Manila, mit denen in der chinesischen Digitalwährung bezahlt werden kann. In Ländern, in denen Chinas Staatskonzerne im Rahmen der „Gürtel-und-Straße“- Initiative viel Geld in den Bau neuer Brücken und Häfen investiert haben wie Pakistan und Malaysia, könnte Peking auf die Rückzahlung der Schulden in Digital-Yuan bestehen, um die Verbreitung der Währung zu fördern – auf Kosten Amerikas. Irgendwann wäre dann in der Welt die „Hegemonie des Dollars“ beendet, wie Chinas Staatsmedien hoffen.

Was kommt als Nächstes? Ein Finanzkrieg, in dem die Amerikaner chinesische Banken vom Bezahlsystem Swift und damit vom Weltgeschehen abschneiden? Muss Apple in China bald ausschließlich Chinesen beschäftigen und seine Gewinne im Land reinvestieren? Vielleicht versetzt davor schon Washingtons Wechat-Bann Apples China-Geschäft den Todesstoß, falls der Konzern die unverzichtbare Super-App nicht mehr auf seinen iPhones anbieten darf, woraufhin laut einer Umfrage unter 1,2 Millionen Chinesen auf Weibo 95 Prozent davon auf ein Android-Gerät umsteigen wollen.

Noch hoffen die Chinesen darauf, dass sich nach einer Abwahl des aktuellen amerikanischen Präsidenten im November das Verhältnis zu Amerika wieder beruhigt. Wer in Amerika einen Platz an einer der berühmten Universitäten ergattert habe, gebe seinen Traum vom Abschluss noch nicht auf, sagt Chen Qijyun, der seit 15 Jahren in Shanghai Studienplätze in Übersee vermittelt. „Die Eltern von Schülern in der zehnten und elften Klasse gucken sich jedoch nach Alternativen zu Amerika um.“

Dass der Planet in „zwei Welten“ zerfalle, so titelt auch „China Daily“. Das Parteiblatt macht dafür die Amerikaner verantwortlich, was in den Vereinigten Staaten naturgemäß anders gesehen wird. Doch im Ergebnis ist man sich einig. „Zwei feindliche Wirtschafsblöcke entstehen“, warnt die „Harvard Business Review“. Wollten sie nicht auf einer der schwarzen Listen Washingtons oder Pekings landen, müssten amerikanische Unternehmen und solche, die in Amerika Geschäfte machten wie die deutsche Industrie, sich aus Hongkong zurückziehen, ihre Produktion aus China in „politisch sicherere Länder“ verlegen, die Zusammenarbeit mit „chinesischen Unternehmen und Universitäten neu bewerten“ sowie Investitionen im anderen Block überdenken.

Beim deutschen BASF-Konzern dürfte der Denkprozess lange dauern. In den Vereinigten Staaten hat er im vergangenen Jahr Chemie für rund 18 Milliarden Euro verkauft, in China nur für 7 Milliarden. Aber das Wachstum, was das Unternehmen aus Ludwigshafen in den kommenden Jahre global erwirtschaften will, dürfte wohl zu zwei Drittel aus der Volksrepublik stammen, erwarten die BASF-Manager. Im südchinesischen Guangdong bauen sie gerade für 10 Milliarden Dollar Produktionsanlagen, die 2030 fertig sein sollen. Als BASF-Chef Martin Brudermüller vor zwei Jahren in Berlin den Plan unterzeichnete, stand hinter ihm die deutsche Kanzlerin und Chinas Ministerpräsident.

Für Volkswagen wäre es noch desaströser, geriete der Konzern im Streit der Supermächte unter die Räder. Auf dem chinesischen Automarkt, auf dem im vergangenen Jahr rund 9 Millionen Autos mehr als in Amerika verkauft wurden, ist der deutsche Hersteller Marktführer. In den Vereinigten Staaten führt er die Rangliste nur bei den Strafzahlungen an. „Wir können und wollen uns eine solche Situation nicht vorstellen“, sagt ein VW-Manager.

Doch die Situation könnte früher kommen als gedacht. Europäische Wirtschaftsverbände halten es für möglich, dass Washington bald ausländische Unternehmen mit Sanktionen belegt, die in Chinas westlicher Provinz Geschäfte betreiben, wo Tausende von Menschen mit muslimischen Glaubens in Umerziehungslagern gehalten werden. Rund 50 chinesische Unternehmen hat Amerika wegen deren „Unterstützung der Repression“ auf seine schwarze Liste gesetzt. Bald könnten ausländische Firmen dazukommen.

Spreche man hingegen VW-Leute darauf an, wie lange der Konzern in Xijiang noch sein umstrittenes Werk betreiben wolle, komme nur Schweigen, heißt es in Peking. Angesichts dessen, dass das Weiße Haus im vergangenen Jahr europäische Autohersteller schon allein wegen deren Importe als „Bedrohung der Nationalen Sicherheit“ Amerikas bezeichnet hatte, seien sich die Deutschen des Risikos offensichtlich nicht bewusst, das ihnen in ihrer „zweiten Heimat“ drohe.

Der aktuelle Konflikt baut Fronten auf. 96 Prozent aller Chinesen verspürten gegenüber Amerika „Abneigung“, teilte das Außenministerium in Peking mit. 97 Prozent befürworteten „Gegenmaßnahmen“. Das chinesische Volk sei „geschlossener und patriotischer“.
Foto: Neueröffnung

Parallel dazu warten gerade hunderte junge Chinesen viereinhalb Stunden lang auf den Höhepunkt der Woche: dann öffnete eine Filiale von „Shake Shack“ ihre Pforten – eine schwer angesagte Hamburger-Kette aus New York. Zhang Pan ist einer von ihnen, der geduldig wartet, trotz Regen.

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